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ÜBER BLOCKBUSTER, KOPIEN & STARTTERMINE
20. Februar 2006 Liebe Filmbranche,
in Frankreich bricht zur Zeit eine französische Produktion (Les Bronzés 3) mit 6,4 Mio. Besuchern in nur 14 Tagen sämtliche Rekorde, in Finnland (5 Mio. Einwohner) bricht zur Zeit eine finnische Produktion (Matti) mit über 400.000 Besuchern in fünf Wochen sämtliche Rekorde (und ist immer noch die haushohe Nr. 1), während gleichzeitig eine andere finnische Produktion (FC Venus) mit bislang über 200.000 Besuchern ebenfalls zum Blockbuster wurde, in der Türkei bricht zur Zeit eine türkische Produktion (Tal der Wölfe) mit 2,7 Mio. Besuchern in 10 Tagen sämtliche Rekorde, während gleichzeitig weitere türkische Blockbuster (allen voran Mein Vater und mein Sohn, der sich seit 13 Wochen in den Top Ten hält und bislang 3,1 Mio. Besucher hatte) die Charts aufmischen, in Polen beherrschen zur Zeit zwei polnische Blockbuster (Tylko mnie kochaj und Ja wam pokaze) die Charts, in der deutschsprachigen Schweiz ist seit vier Wochen eine schweizerische Produktion (Grounding) der unangefochtene Spitzenreiter der Charts mit knapp 200.000 Besuchern in den Schlüsselstädten,
und in Deutschland? Nun, der deutsche Marktanteil ist auf einem guten Niveau, viele mittlere Hits haben dafür gesorgt. Aber es fehlen definitiv Blockbuster. Natürlich ist mir klar, dass es bestimmte Produktionszyklen gibt, nach denen sich der Start eines potenziellen deutschen Blockbusters richten muss. Aber ich habe den Eindruck, dass der Januar und frühe Februar (also vor der Berlinale) schon seit Jahren von den hiesigen Produzenten/Verleihern ignoriert werden. Ich habe schon in diesem Artikel darauf hingewiesen, dass unsere eigentliche Hauptsaison weit unter den Möglichkeiten bleibt, da die US-Blockbuster nun nahezu zeitgleich im Sommer oder vor den Weihnachtsferien starten. Aber gerade deswegen sollten die lokalen Erfolg versprechenden Produktionen diese Lücke ausnutzen. Was passiert aber stattdessen? - Hui Buh - immerhin mit Bully, dem Kassengaranten des Jahrzehnts, feiert mitten zwischen den US-Blockbustern Ab durch die Hecke, Poseidon und Fluch der Karibik 2 Premiere. Alles völlig unnötige Konkurrenz, jetzt im Januar & Februar hätte der Film freie Fahrt gehabt und müsste nicht gegen Sonne und amerikanische Werbebudgets ankämpfen. - Im September starten im Wochentakt Das Parfüm, Oh wie schön ist Panama und Special. Das sind zwar sehr unterschiedliche deutsche Produktionen und kommen sich bei den Publikumsschichten nicht sonderlich in die Quere, aber sie müssen gegeneinander um Kinoleinwände und Publicity kämpfen - und natürlich gegen zahlreiche Erfolg versprechende US-Produktionen.
Deswegen liebe Produzenten und Verleiher deutscher Filme: Versucht Euer Glück auch mal (wieder) im Januar! In diesem Monat startete zum Beispiel Titanic, der 5 1/2 seiner 18 Millionen Besucher im Januar und weitere 4 1/2 Millionen im Februar erzielt hat. Titanic ist zwar kein deutscher Film, ich wollte Euch aber nur einmal zeigen, was für ein Potenzial in dieser Saison steckt. Andere Goldene-Leinwand-mit Stern-Filme (6 Mio. Besucher), die im Januar gestartet wurden, sind z. B. Bodyguard, American Pie oder Kevin - Allein zu Haus, da hat Euer Film - wenn die Qualität und die Werbekampagne stimmt - genauso gute Chancen auf einen Superhit. Nutzt also die Lücke in der Belieferung von US-Blockbustern aus, anstatt zu den gleichen Terminen wie die US-Blockbuster zu starten. Damit wäre der gesamten Branche mit steigenden Besucherzahlen geholfen.
Und unsere Nachbarländer (siehe oben) zeigen ja wie es geht...
Apropos Nachbarländer...
Ich habe den Eindruck, dass unsere Verleiher ihre Filme hierzulande gar nicht mehr verleihen wollen. Andauernd werden die Kopienzahlen reduziert, viele Kinos in kleineren Orten haben in diesem Jahr weitere Minuszahlen zu verkraften, obwohl es in der gesamten Branche (sprich in den Großstädten) in diesem Jahr bislang nach oben ging. Natürlich sehe ich, dass auch die (meisten) Verleiher letztes Jahr ein schlechtes 2005 hatten und sparen müssen. Aber wie kann es sein, dass ein Film wie
- Die Geisha bei uns (82 Mio. Einwohner) mit 206 Kopien startet, in Spanien (41 Mio. Einwohner) aber ebenfalls mit 206 Kopien startet (und dort schon 1,55 Mio. Besucher hatte)? - ein in Deutschland (!) gedrehter Film wie Aeon Flux in Spanien mit 305 Kopien (0,7 Mio. Besucher), bei uns aber nur mit 125 Kopien startet? - Lord of War bei uns (82 Mio. Einwohner) mit 200 Kopien startet, in Frankreich (59 Mio. Einwohner) aber mit 329 Kopien startet (und dort schon 1,3 Mio. Besucher hatte)? - Walk the Line nach dem Gewinn von 3 Golden Globes (alles Hauptkategorien) und fünf Oscar-Nominierungen nur mit 179 Kopien gestartet wurde, im halb so großen Spanien aber mit 204?
Es gibt noch viele weitere Beispiele, die ich aufführen könnte, diese vier sind aber besonders aktuell.
Ich kann bei bestem Willen nicht den Sinn in dieser zu kurz springenden Kopienpolitik entdecken. Denn
- die Existenz vieler Kinos an kleineren Orten wird gefährdet. Deren Publikum empfindet die örtlichen Macher als "Schlafmützen" und wendet sich ab, eventuell auch in die Piraterie. - weniger Publikum an kleineren Orten bedeutet automatisch, dass weniger Menschen die Trailer zu den kommenden Attraktionen sehen, die Abwärtsspirale setzt sich also fort, auch bei den Blockbustern. - viele Filme bleiben unter ihrem Potenzial, da ein Einsatz an den kleineren Orten 4-6 Wochen später schon den Reiz verloren hat, da sind inzwischen andere Filme gefragt. Und dass die Filme durchaus Potenzial besitzen, zeigt sich ja an den tollen Ergebnissen, die sie in anderen europäischen Ländern gemacht haben.
Dass es auch anders geht, hat der Tobis Filmverleih erst kürzlich bewiesen: Nach dem schwachen US-Einspiel von $23 Mio. hatte ich eigentlich damit gerechnet, dass Couchgeflüster trotz des tollen Trailers vom Verleih mehr oder weniger begraben wird. Stattdessen gab es einen überraschend breiten Start mit 244 Kopien und nun ist der Film mit 1 Mio. Besucher im Visier in den Kinos - ein bisschen mehr Mut beim Nachziehen weiterer Kopien wäre natürlich schön gewesen (dieser Mut scheint den anderen Verleihern übrigens ebenfalls fast komplett abhanden gekommen zu sein, denn bei vielen Filmen hätte man ruhig ein paar mehr Kopien nachbestellen können).
Deswegen liebe Verleiher: Seid nicht so geizig mit den Kopien - in den anderen europäischen Ländern gab es auch herbe Besucher-Rückgänge im letzten Jahr und trotzdem werden die Filme dort nicht so schnell aufgegeben und das Potenzial nicht schon vor Start geschmälert. Nur wo ein Film läuft, können auch Umsätze erzielt werden - oder um aus einem meiner Lieblingsfilme zu zitieren: "If you build it, they will come" (Field of Dreams).
Zu guter Letzt habe ich noch die lange versprochene Tabelle angehängt, die aufzeigt, dass es keine schlechten Starttermine gibt. Wie man aus ihr ersehen kann, gab es zu jedem möglichen Termin im Jahr immer einen Film, der mit wenigstens 440.473 Besucher am Wochenende gestartet wurde. Also liebe Verleiher, es gibt keinen Grund, irgendeinen Termin zu verschenken, ein guter Start ist das ganze Jahr über möglich...
Aus Liebe zum Kino,
Euer Mark G.
P.S. Wie immer ist jede Mail zum Thema willkommen und wird auf dieser Seite veröffentlicht.
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Tom R:
Hi Mark,
sehr schöner und wichtiger Bericht von Dir. Das mit den Kopienzahlen ist mir
ebenfalls schon seit längen aufgefallen. Gerade bei US-Kinofilmen gehen die
Verleiher sehr niedrig ran. Zwar erkennt man eine Verbesserung in 2006, daher
wahrscheinlich auch der Besucherzuwachs in den ersten Wochen. Aber in 2005 war
das schon sehr schlimm, da waren ja 200-250 Kopien fast alltäglich und nur bei
ganz großen Favoriten gab es dann mehr. Das dann aber kaum mehr als 100-150.000
Besucher möglich waren und der Film mit einer knappen halben Millionen Besucher
ausläuft kein Wunder.
Genauso erschreckend war im letzten Jahr die Verteilung der Start. In mehr als
1/3 der Wochenenden gabs kein richtigen Breitenstart und damit meine ich einen
über 400 Kopien. Wenn man sich das mal in den Staaten anschaut, gibt es dort
mind. 1-2 Starts mit über 2500 Leinwandstarts an jedem Wochenende. Daher kann
man den Besucherrückgang nicht nur auf die Qualität der Filme abwälzen, sondern
sollte wie ich auch schon in meinem letzten Statement mitgeteilt hatte die
Verleiher in Deutschland als Hauptschuldfaktoren für die Besuchermisere
verantwortlich machen. Auch denke ich immer noch das bei zuvielen Filmen nur auf
Trailer in den Kinos aufmerksam gemacht wird und die restlichen Medien wie TV,
Radio und Plakatwerbung immer mehr verzichet wird. Dadurch haben die Verleiher
natürlich wenig Kosten, aber auch weniger Einnahmen.
Das sollten sich die Verleiher wirklich mal in Ihrer Strategie überlegen oder
den US-Bossen das überlassen.
Auch das Thema Januar/Februar Starts ist in 2006 mehr als bespielhaft. Wenn es
durchschnittliche Filme wie "Nanny", "Wilde Hühner", "saw 2" und "Himmel und
Huhn" es schaffen solche Erfolge zu haben, dann möchte man sich kaum vorstellen,
welche Erfolge man haben würde wenn endlich mal wieder ein riesen Blockbuster an
den Start gehen würde. Denn ich gehe am Wochenende doch lieber bei diesem Wetter
ins Kino als im Hochsommer oder in der Adventszeit wo man sicherlich auch viele
andere Freizeitaktivitäten machen könnte.
Bye
W:
Hallo Mark
Erst mal eines voraus. Ich schaue regelmässig auf deiner Homepage und bin von
deiner Seite einfach überwältigt- Ganz grosse klasse.
So jetzt aber zum wesentlichen.
Ich bin selber Disponent einer kleinen Kinokette. Vor ein paar Jahren war es
tatächlich so, dass die Verleiher sauer waren, wenn man eine Kopie mal nicht
einsetzen konnte, da man mit den alten Filmen Prologationspflichtig war und
zusätzlich zuviele Bundesstarts da waren. Heute ist den Verleihern es ganz egal
,wenn mal einen Start absagt. Ganz im Gegenteil man muss kämpfen um jede Kopie
und sich teilweise bei den Verleihern einschleimen denn im grossen ganzen wird
das Programm doch nur noch für Multiplexe gemacht und kleinere Kinos mit
vielleicht 5 Sälen müssen doch schon nachspielen. Soetwas hat es bis jetzt noch
nie gegeben. Vor allem muss man soetwas erst einmal den Kunden erklären ,wie zum
Beispiel bei der Geisha. Dann sagen die Kunden Wieso es wird doch überall
Werbung für den Film gemacht und begreifen nicht ,dass es wenig Kopien gibt und
fahren zur Konkurrenz in die nächste Grosssadt. Gestern erst bekam ich von der
UIP Nachricht, dass Weatherman und eine Woche später Noch einmal Ferien nur mit
einer kleinen Kopienanzahl starten. Da macht man wochenlang Werbung mit Trailern
und dann das.
Viele Grüsse
René A:
Hi Mark,
ich denke, dass das Hauptproblem unserer deutschen Kinolandschaft ist das die
Leute nur noch Schund (Leichte Kost) sehen wollen und das wir in Deutschland
viel zu selten gute Filme produzieren. Siehe Verleihcharts mit Alone in the Dark
auf Platz 1!! (Sowas macht mich echt fertig!)
Als Chance für den Dt. Film im Frühjahr sehe ich Die Wolke ich hatte das Glück
in einer Preview am Sonntag diesen Film zu sehen und bin echt begeistert gute
Story, glaubwürdige Darsteller und echt kameratechnische Gute Szenen so macht
Kino einfach Spass.
Was ich einfach nicht verstehe ist, dass wir es nicht auf die Reihe bekommen nen
Film zu drehen der die einfachen Regeln eines Hollywoodblockbusters kopiert:
Schlechte Story, teure Schauspieler und nochteurere Specialeffects, dazu nimmt
man noch nen passablen Regisseur (bitte nicht den guten Uwe B.) und nicht zu
vergessen man macht einfach mal wieder richtig viel und gute Werbung. Da kann
doch dann Nix mehr schief gehen oder?
Weiterhin hoffe ich auch das der Dt. Film sich besser entwickelt da wir bestimmt
das Potential haben gute Filme zu machen. Uns fehlt nur etwas die Weitsicht
derer, die die Fördergelder verteilen, denn man sollte nicht soviele Filme wie
möglich unterstützen sondern das Geld konzentrieren auf größere Produktionen die
ehr aussichten auf Erfolg haben. Auf die kleinen Filme kann man sich wieder
konzentrieren wenn man mit den Größeren Profit gemacht hat und sollte dies auch!
Mit freundlichen Grüßen Euer Rene
Anton Z:
Als in der sogenannten Provinz wohnender ganz kurz
meine Erfahrung: Es gab früher Aufsätze mit dem schönen Titel "Kino in der
Provinz", ja ganze Bücher! Das Problem war immer das gleiche: Anspruchsvollere
Kost verirrte sich ins Provinzkino nur zufällig oder zumindest sehr spät. Das
hat sich in den letzten Jahren geändert, seit es auch "auf dem Land" Multiplexxe
gibt und alle Filme mit wesentlich höherer Kopienzahl gestartet werden. Mehr als
300 Kopien waren vor zwanzig Jahren schon fast eine Sensation, heute ist diese
Kopienzahl bei einem mittelmäßigen Arthouse-Movie keine Seltenheit.
Im Moment geht aber die Durchschnittszahl offenbar nach unten. Natürlich können
nicht alle Filme überall in "greifbarer" Nähe laufen.
Ein Problem, das sich in den letzten Jahren für traditionelle Kinos in Stadt und
Land verstärkt hat: Auch die Multiplexxe spielen mittlerweile Programmkinoware,
um ihre überzähligen Säle zu füllen.
Für mich gilt: Ein Film wird nicht schlechter, nur weil ich ihn erst nach ein
paar Wochen (oder Monaten) sehe. Zur Zeit hab ich eher das Problem, dass ich
nicht weiß, was ich zuerst anschauen soll, viel zu viel
(interessante) Filme kommen derzeit in den Verleih. 400 Neustarts waren es im
Jahr 2005 (lt. einem Interview mit Constantin-Chef Fred Kogel). Die einzelnen
Titel machen sich gegenseitig die Zuschauer streitig. Innerhalb weniger Wochen
hätten mich folgende Filme interessiert: Walk the Line, Elementarteilchen, Lord
of War, Der ewige Gärtner, Requiem, Brokeback Mountain, Knallhart, Capote, Match
Point, München. Von diesen 10 Titeln konnte ich gerade mal 3 (die
unterstrichenen) sehen. Die anderen Titel sind in den von mir im Radius von 30
km bevorzugten Kinos entweder schon wieder verschwunden oder noch nicht
aufgetaucht.
Dazu kommt aber auch das Problem, dass Möchtegern-Blockbuster die Säle
verstopfen und drei Wochen gespielt werden müssen, obwohl der Flop schon am
ersten WE vorgezeichnet ist. Das bewirkt dann, dass man auf bestimmte Titel
solange warten muss, dass sie für den Kinobetreiber schon wieder uninteressant
werden, weil der Wochenendschnitt ständig zurückgeht.
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