Last Update: 23.06.10

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ZWERGE UND LANGE SCHATTEN - PI-JAYS FILMJAHR 2004


Es ist schon beinahe Tradition, dass William Goldman in seinem Jahresrückblick behauptet, die zurückliegenden zwölf Monate seien, was die Qualität der aufgeführten Filme angeht, die schlechtesten seit den späten 30er Jahren. Heuer bin ich zum ersten Mal geneigt, ihm darin zuzustimmen.


Dabei kommt einem rückblickend betrachtet das Filmjahr 2004 gar nicht mal so übel vor. Im Gegensatz zu den Vorjahren gab es zumindest keine Filme, auf die man sich gefreut hat und die einen dann enttäuschten (wie in 2003 Tatsächlich Liebe oder Nicht auflegen) oder von denen man sich wenigstens ein ordentliches Genrestück erhofft hat und die dann richtige Stinker waren (wie Hulk oder in 2002 Blade 2).


Erfreulicherweise hielt sich in diesem Jahr die Anzahl der Sequels in Grenzen, obwohl der Trend zu Fortsetzungen weiterhin ungebrochen ist. Wenigstens gab es keine peinlichen Katastrophen wie die Matrix-Sequels oder einen lauwarmen Star Wars-Aufguss. Harry Potter und der Gefangene von Askaban und Die Bourne Verschwörung lieferten wenigstens gute Unterhaltung, auch wenn sie sich nicht an ihren Vorgängern messen konnten, und Spider-Man 2 und Shrek 2 waren immerhin noch annehmbar.


Auch die personellen Enttäuschungen waren nicht so groß wie in den Vorjahren. So ist wohl kaum zu erwarten, dass eine schauspielerische Null wie The Rock den Oscar erhält – wie Jennifer Connelly vor zwei Jahren – und dass Tarantino sein Image als Regie-Wunderkind verspielt hat, war auch schon vor Kill Bill - Vol. 2 klar. Ebenso wie bei Petersens Troja oder Bridget Jones – Am Rande des Wahnsinns stellt sich nur leichtes Bedauern darüber ein, dass so viele Möglichkeiten schlichtweg verschenkt wurden.


Leider war 2004 aber auch ein Jahr ohne angenehme Überraschungen. Wenn es überhaupt Grund zur Verwunderung gab, dann darüber, dass Roland Mr.-Spätzle-Effekt Emmerich einen ansehnlichen Film gemacht hat. Aber ist das gleich ein Grund zu jubeln ...?


Selbstverständlich gab es auch in diesem Jahr Filme, die auf ihre Weise für Aufregung gesorgt haben oder die man einfach nicht auf dem Radar hatte: Die Passion Christi zum Beispiel – das filmische Äquivalent zum mittelalterlichen Ablasshandel. Mel Gibson büßt für seine Sünden, indem er mit eigenem Geld einen absolut unkommerziellen Filmkommentar zu seinem religiösen Fundamentalismus abliefert – und öffnet damit die Herzen (und Geldbörsen) der Menschen im bibel-belt. Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf, könnte man dazu sagen, oder mit den Worten Jesu (allerdings nicht auf Aramäisch): „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.“


Oder Der Wixxer. Auch so ein Film, den ich nicht sehen wollte – aus einem einfachen Grund: Jede original Edgar-Wallace-Verfilmung ist bereits eine Parodie für sich. Warum sollte ich mir also die Parodie einer Parodie antun?


Doch Bully sei Dank erfreut sich dieses Kellerkind des deutschen Humors bei uns zurzeit größter Beliebtheit. Dass (T)Raumschiff Surprise einer Lizenz zum Gelddrucken gleichkam, konnten sich die Produzenten schon ausrechnen, noch bevor sie die letzten Euros gezählt hatten, die ihnen Der Schuh des Manitu eingebracht hat. Aber wer hätte gedacht, dass 7 Zwerge ähnlich erfolgreich sein würde?


Damit sind wir bei etwas Erfreulichem angelangt – dem deutschen Marktanteil. Die Zahlen können sich wirklich sehen lassen, aber bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass in erster Linie der Klamauk die Mutter des Erfolges deutscher Kinofilme ist. Und da Erfolge hierzulande oft und gerne kopiert werden, stehen uns wohl oder übel noch weitere Albernheiten ins Haus ...


Der einzige Film (Koproduktionen und die ohnehin meist erfolgreichen Kinderfilme einmal ausgeklammert) aus unseren Landen, der noch für Kasse gesorgt hat, ist das künstlerisch-kulturelle Feigenblatt Der Untergang. Gott sei Dank, kann man sagen, auch wenn Oliver Hirschbiegels Regie beileibe keine Glanzleistung war (aber immer noch besser als Eichingers Buch), und der Film als solcher von einem Meisterwerk weit entfernt ist. Dennoch ist es höchst erfreulich, dass sich der Mut der Macher ausgezahlt und ein so schwieriges Thema so viele Besucher gefunden hat.


Und der Rest? Lautlos ist – zu Recht – auf ebensolche Art und Weise untergegangen. Autobahnraser und andere Versuche, Hollywoods Erfolge zu imitieren, anstatt den Mut aufzubringen, etwas Originelles und Eigenes zu schaffen, wurden schon bald abgehängt. Was nützt die Liebe in Gedanken? – offenbar nichts ...


Traurig stimmt nur der mäßige Erfolg von Sommersturm, der mehr Besucher verdient gehabt hätte. Denn im Gegensatz zu den meisten anderen Produktionen, ob aus Hollywood oder aus Deutschland, lag dem Film keine literarische oder sonstige Vorlage zugrunde. Dass Filme heute nahezu ausschließlich auf der Grundlage eines literarischen (Roman, Sachbuch, Kurzgeschichte oder Comic) bzw. filmischen Vorbilds (als Prequel, Sequel oder Remake) oder wenigstens nach einer wahren Begebenheit produziert werden, ist schon kein Trend mehr, sondern die reinste Seuche ...


Natürlich kann man verstehen, dass die Produzenten auf Nummer sicher gehen wollen und lieber auf einen Stoff setzen, der sich bereits bewährt hat, als auf eine unbekannte Größe. Der Markt ist schwer einzuschätzen, der Zuschauer unberechenbar und ein Trend vergänglicher als eine Pusteblume im Wind. Aber wenn es dazu führt, dass ein Stoff wie Good-bye, Lenin! (wie ich gehört habe) sieben Jahre bis zu seiner Realisierung gebraucht hat, dann hat das nichts mehr mit unternehmerischer Vorsicht zu tun, dann kann man nur noch von Feigheit sprechen.

Kein Meisterwerk, aber auch kein richtiger Stinker – war das Filmjahr 2004 also wirklich so enttäuschend? Bei einem Großteil der Produktionen handelte es sich immerhin um gut gemachte und zumeist sogar unterhaltsame Filme (Last Samurai war ein guter Abenteuerfilm, Was das Herz begehrt eine amüsante Komödie, The Door in the Floor ein ansprechendes Drama und Die Unglaublichen ein witziger Animationsfilm) – aber auf die meisten davon hätte ich auch gut und gerne im Kino verzichten und sie mir viel später auf Video oder DVD ansehen können. Mit anderen Worten: 2004 war der Triumph des Mittelmaßes.


Selbstverständlich gab es auch einige Filme, die über den Durchschnitt herausragten, so Tim Burtons bewegender und trotzdem lustiger Big Fish oder Kalender Girls, und auch Lost in Translation hatte das gewisse Etwas, das Filme unverwechselbar macht. Dennoch gehört keiner von ihnen zu jenen Filmen, deren Charaktere man sofort ins Herz schließt, Filme, die einem wieder das kindliche Staunen lehren und vor Augen führen, was Kino im allerbesten Falle sein kann: pure Magie ...


Die meisten Filme des Jahres 2004 waren alles in allem okay, nicht mehr, aber auch nicht weniger (s. die Favoriten-Liste). Warum stellt sich also ein Gefühl der Enttäuschung ein? Natürlich wäre es naiv, in jedem Jahr ein Wow-Erlebnis zu erwarten – von einem magischen Kinoereignis wie Der Herr der Ringe werden wir wohl noch eine ganze Weile zehren müssen. Außerdem war 2003 ein wirklich außergewöhnliches Jahr, das uns so herausragende Filme wie City of God, In America und The Hours, Good-bye, Lenin! und Frida beschert hat.


Gerade im Arthousekino fehlte es aber heuer am großen Wurf: Sofia Coppola hat erneut bewiesen, dass sie es meisterhaft versteht, eine dichte Atmosphäre auf die Leinwand zu bannen, aber dramaturgisch gesehen liefert sie doch eher Diätkino. Das Mädchen mit dem Perlenohrring hat schöne Bilder (Eduardo Serra wurde dafür zu Recht mit dem Europäischen Filmpreis belohnt) und wunderbare Musik, ist alles in allem aber für meinen Geschmack von einer Subtilität, die fast schon ans Banale grenzt. Die Kinder des Monsieur Mathieu ist zwar ein bewegender Film, kommt aber leider gegen sein Genrevorbild Der Club der toten Dichter nicht an.


In diesem Jahr sind sehr viele Filme unter ihren Möglichkeiten geblieben, und das ist schade. Ärgerlich ist es nur dann, wenn manche Streifen trotzdem von der Kritik über alle Maßen gelobt und mit Preisen ausgezeichnet werden. Oder wenn ein Regisseur wie Francois Ozon für seine im besten Falle belanglosen Streifen jedes Mal mit Ovationen überschüttet wird. Aber wie Karl Kraus einmal so treffend sagte: „Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen auch Zwerge lange Schatten.“

 

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